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Eine Erzählung von Gerhard Lassen

Die Kaserne war auf gewaltigem Areal gelegen, vor dem nördlichen Tor der Stadt. Sie hatte einstens der königlichen Kavallerie gedient, den Husaren seiner Majestät, ward angelegentlich geschliffen von feindlicher Hand, um mutig zurückerobert und neuerbaut zu werden zu altem, kriegerischem Zwecke. Alas, Ställe brauchte man keine mehr. Die neuen Häuser der Soldaten waren von anderer Zeit. Mit sicherer Hand wurde das Gelände angepasst an die Erfordernisse einer modernen Kriegskultur. Hatten die alten Gebäude noch den Sinn der trutzigen Drohung, ein überlebensgroßes Bild wehrhafter Stärke, so waren die neuen mit Bedacht geduckt gehalten, als sollten sie unsichtbar sein. Der Himmel selbst war ja inzwischen zur Front geworden und es galten andere Gesetze. Die Häuser durften nicht mehr zusammenstehen zu einer wuchtigen Burg, sondern verstreuten sich über das Gelände, versteckten sich unter laubigen Bäumen als schwere, flache Quader mit stumpfwinkligen, erdfarbenen Dächern.

Bald aber hatte die immerfort wachsende Stadt die Kaserne eingeholt und sie mit zivilem Wohnbau umspült. Hochhäuser und Hotels, mondäne Geschäftsgebäude und Appartmentparks. Somit war die alte Kaserne, als ein bevorzugtes Angriffsziel, zu einem hohen Sicherheitsrisiko geworden. Sie wurde stillgelegt und stand leer und verlassen, als der letzte Panzer mächtig und eindrucksvoll durchs Tor hinausgerollt war. Wegen der Kosten einer Neubesiedelung und dem Fehlen ausgereifter Konzepte hierfür, blieben die alten Gebäude vorläufig aber vom Abbruch verschont und wurden einer kleingewerblichen Nutzung überlassen. Werkstätten für Handwerker und Ateliers für Künstler. Aber es sollte sich in den kommenden Jahren herausstellen, daß sich das Gelände so einfach nicht zivilisieren ließe, denn es war uraltes militärisches Gebiet und ein alter Geist hatte den Bauwerken seinen harten Stempel aufgedrückt und in die Architektur etwas Dumpfbackiges und Graues eingewebt, als sollte sie dadurch noch besser geschützt werden vor den Blicken des Gegners. Dieses Tarnkleid aber machte insbesondere den angesiedelten Künstlern zu schaffen, welchen es ein natürliches Anliegen war, eine Herausforderung, die vorgefundene Kasernenlandschaft zu gestalten, das Einförmige, das Militärische umzupflügen mit creativer Hand und darauf die sinnenfrohen Blumen der Fantasie wachsen und gedeihen zulassen. Jedoch, kampflos wollte sich der trutzige Geist der Kaserne, dieser zähe Fürstreiter einer barocken Staatsmacht, weißgott nicht in die Knie und aus angestammten Sitz zwingen lassen und er schwor einen heiligen Krieg, ganz speziell der Künstlerschar, die er samt und sonders für nichtsnutzig hielt.

Zwischen Hallen und Exercierflächen lagen die langgestreckten Gebäude der Mannschaften, zwei Stockwerke hoch, in der Mitte eines jeden ein langer Gang, an dem links und rechts wie vierkantige Waben die einfachen Stuben gelegen waren. In diesen Häusern waren die Künstler einquartiert, lose organisiert in separaten Mietervereinigungen. Dieser Typus Haus war zu keiner großen Gastlichkeit gemacht, denn seine ursprünglichen Bewohner, die Soldaten, sollten ja nicht versinken in heimeliger Gemütlichkeit, sondern wachsam auf der Lauer liegen. Jetzt aber, nachdem dies fremde Volk hier eingezogen war, geschah Merkwürdiges in diesen Häusern. Die Ateliers, ebenso genutzt als Unterkünfte für das Künstlervolk, wurden von einem eigentümlichen Staub befallen, der in braunen und grauen Strähnen aus dem Nichts zu wachsen schien und sich in heimlichen Ecken zu groben Geflechten und Teppichen verwob und kaum hinausgekehrt, von neuem zu wachsen begann. Die jungen Leute schwiegen sich anfangs schamhaft darüber aus, denn viele kamen direkt aus dem Elternhaus hierher und waren noch unerfahren in selbstständiger Existenz. Ein jeder glaubte, er selbst wäre schuld an diesen staubigen Zuständen. Allein, dem war nicht so. Schon zu alten, glorreichen Zeiten hatte es der Alte Geist des Hauses stauben lassen, um die Soldaten auch in Ruhezeiten auf gesundem Trab zu halten. Doch das war nur freundschaftliches Geplänkel, gemessen an der Attacke aus Filz und Staub, die jetzo das Haus heimsuchte, denn jetzo war Krieg.

Wohlahnend, daß die jungen Leute diesem seltsamen Staubbefall durchaus Herr werden könnten, war eine weitere Eigentümlichkeit des Hauses inkraft gesetzt. Kein Husarenritt ohne flankierendes Geschütz, keine Stauboffensive ohne eine drastische Müdigkeit der Betroffenen, die sie schiergar wehrlos machte. Einen Fluch von Schlafmützigkeit und fortwährender Bettschwere war mit Leichtigkeit über die Eindringlinge, die neuen Bewohner des Hauses gelegt; eine Waffe, derer sich der "Gute Geist Vom Alten Schlag", wie er sich selbst nannte, mit Raffinesse bediente. Schon nach wenigen Wochen waren die Bewohner geplagt von fortwährender Müdigkeit und so mancher fand kaum noch den Willen, sich aus dem Bette zu erheben, geschweige denn zu putzen oder Staub zu saugen, so schläfrig waren sie Tag und Nacht. Zum Glück waren die meisten Mieter ausschließlich Künstler, denen schöpferische Pausen durchaus zu Gesichte standen, sorgten diese doch andrerseits für dichteste Schaffenskraft in den kurzen Zeiträumen des Wachseins. Sonnige Inseln der creativen Ekstase in einem dunklen Meer aus Träumen und Ruhe. Aber es gab auch Freischaffende, Selbstständige, tätiges Volk, das sich hier eingenistet hatte und das den vollen Tag brauchte, um das Nötige zu schaffen. Diese Kollegen hatten zäh zu kämpfen, um dem Tag ein nützliches Ergebnis abzuringen.

Der Alte Staatsgeist war mächtig und allgegenwärtig und er bewegte sich auf dem Gelände wie auf eigenem Grund. Sehr gerne schlich er sich des nachts durch die dunklen Lagerhallen der Kleinspediteure oder den öligen Werkstätten der Mechaniker, in denen er gierig den Dunst von Dienst und Arbeit in sich hineinsog, Dort tankte er Kraft für die mühevollen Inspektionen der Künstlerhäuser, die ihm zutiefst zuwider waren, zu denen er sich zwingen mußte mit größter innerer Härte, sollten die alten Traditionen nicht untergehen in Schimpf und Schande durch die Hand der Kunst, was immer das auch sein mochte. Tief in der Nacht streifte er auf leisen Sohlen um die Büsche, um die Häuser. Er hatte zugang zu jedem Haus und nicht selten schlüpfte er, operativer Not gehorchend, in eine passende Verkleidung: mal kam er deswegs als ein weinseliger Kunstliebhaber mit schütterem Haar, ein anderesmal als eine junge, dynamische Kunsthoffnung von Saft und Kraft. Tarnung war sein Spezialgebiet und niemals erregte er ungebührliche Aufmerksamkeit. Wenn ihm ein leibhaftiger Künstler über den Weg lief, mochte es ihm noch so nach Zähneknirschen und Zornesglut zumute sein, Disziplin und militärische Zucht hielten sein Gesicht in freundlichem Lächeln. Gottlob blieb er meistens ungestört bei seinen Rundgängen in den Häusern der Kunstvereine, denn so voller Widerwurz waren da seine Gedanken, da sich die schwersten Brocken davon selbstständig Luft machten und durch seinen alten, trockenen Mund entwichen und als Flüsterparolen in die Gedanken der Schlafenden eindrangen: *Hatnochniemandemgeschadet,Zuchtundordnungvordermann, Packsgesindelarschaufreißen* Ferne Stimmen, eingewoben in tiefe Träume, haßerfüllt und bedrohlich.

Es waren durchwegs hoffnungsfrohe Leute, die hier eingezogen waren und alle waren sie voller unschuldiger Pläne für ihr Leben. Diese alten Kasernengebäude waren einem jeden von ihnen die Chance, preiswert zu leben und zu arbeiten in einer Stadt, in der die Mieten alles auffraßen. Kein Gedanke an einen hinterhältigen Alten Geist, der dürstete nach einem Krieg. Dessen Metier aber waren Drill und Disziplin. Dafür hatte man ihn einstens in diese Häuser bestellt und kein Firlefanz aus bunter Tandaradei durfte hier geduldet sein. Kampfeslustig und kehlig lachte er in sich hinein. Siegessicher, auch wenn seine Flüche allesamt den gewünschten Erfolg noch nicht gezeitigt hatten. Es gab die Diensthabenden nicht mehr, die Spieße, die in der guten, alten Zeit die Soldaten des morgens aus den Betten brüllten, erholt und doch nicht ausgeschlafen und daher voller Haß und Angriffslust gegen einen erdachten Feind, der schuld am Tode aller Träume war. Nun aber blieben die Damen und Herren des Hauses oft tagelang in ihren Federn und kamen nur herausgekrochen, um sich etwas Kaffee oder eine Kleinigkeit zu essen zu machen, sich zu räkeln und sich wieder in dieselbigen zurückzukuscheln. Was Wunder, daß dieserart wahrhaft ausgeschlafene Resultate künstlerischen Schaffens produziert waren. Verwob der eine die grauen Strähnen staubigen fall-outs zu einer Komposition über die Vergänglichkeit, in der das Sein sich immerzu verändert im Kontext einer ewig gebärenden, ewig sterbenden Welt, so schnippte eine andere in den wenigen Minuten ihrer physical awareness das immer neue Staubgespinst mit heiterer Gelassenheit von ihrem Gemälde, durch das sie blicken konnte in die Seele des Daseins. Allein, die künstlerische Ausbeute blieb in ihrem Volumen mager, so großartig manches Exponat auch war, und mager blieben, bei den meisten, die Erträge, weil nur unzureichend ein Verkauf betrieben ward. So mancher hatte zu kämpfen um das bißchen Geld für die monatliche Miete. Unregelmäßige Zahlungen waren keine Seltenheit und die Kassenwarte der Vereine hatten Monat für Monat alle Hände voll zu tun, den fälligen Mietzins beizeiten zu überweisen. Noch schlimmer aber wog der steigende Druck des Vermieters, des Bundesamtes für die Weiterverwertung eingeschmolzener Kasernen, das sich über den Schmutz und das Chaos allerorten monierte, die Teppiche von Staubfäden, die wie abgestreiftes Katzenhaar überall einherwaberten, die Müllkartonagen und abgestellten Behältnisse und Möbelreste in den Gängen. Häufiger kam es nun zu Inspektionen des Amtes, dessen Geist im übrigen ein entfernter Vetter des Alten Schlags war. Und ein jedesmal ward man unzufriedener mit dem, was man sah und daran änderte nichts der Anblick schlaftrunkener, junger Leute, die unrasiert und dösend des Nachmittags in den Gemeinschafts-Küchen herumlümmelten, als ständen sie unter Drogen. Beschwerden von amtswegen nahmen zu, der Druck auf die Vorstände der jeweiligen Kunstmietvereine wuchs, denn diese zeichneten verantwortlich für den Betrieb der Häuser. Besonders ins Visier geraten war eines der quergestellten Gebäude inmitten des Areals, auf der westlichen Seite des großen Exerzierplatzes gelegen. Dessen Vorstand war Friedhelm, ein korpulenter, junger Mann, der sich den praktischen Weltblick des Handwerkers bewahrt hatte und dem sonnenklar war, daß das Projekt"Kunst in der Kaserne" auf des Messers Schneide stand und vom Tode bedroht war, wenn sich nicht Grundsätzliches änderte.

Der Alte Geist kicherte gackernd in sich hinein, als er während seines nächtlichen Rundganges im Haus Friedhelms Einladung an alle Mieter zu einer dringlichen Versammlung an die Türen geheftet fand. Sonntagabends in der Küche. Händereibend humpelte da der Alte Schlag davon, wissend, daß sich die Dinge zu bewegen begannen. Er würde dem Dreckspack Beine machen. Die Küche war gutbesucht, Sonntag Abend war eine treffliche Zeitwahl gewesen. Kleinen Spickzettel in Händen, begann Friedhelm seine Rede, seine Mahnung an seine Mitbewohner, die vor ihm bequem auf Stühlen und Sofas lagerten und guter Stimmung waren. "Wie ihr alle wißt, ist hier im Hause die Kacke am Dampfen. Das BfdVeK hat alleine in den letzten sechs Wochen l4 Begehungen vorgenommen. Wir haben vor drei Tagen ein Schreiben der Frau Krull bekommen, der zuständigen Sachbearbeiterin im Amt, in der sie uns vorhält, hier im Haus würde sowohl in der Nutzung, als auch in der vorgeschriebenen Hauspflege permanent gegen die geltenden Mietverträge verstoßen. Und das sie das nicht länger hinnehmen will." "Aber, ja.." kam da ein erster Zwischenruf aus dem Auditorium, den Friedhelm ignorierte und sachlich fortfuhr: "Ihr wißt, die Verträge laufen Ende diesen Jahres aus und nach dem momentanen Stand der Dinge, werden sie auch nicht mehr verlängert werden, obwohl die Arbeiten für die Neugestaltung des Geländes erst für Mitte 20l5 konzipiert sind. Aber, ich glaube, (lauteres Gemurmel im Raum), ich glaube es liegt an uns, etwas zu tun und die Leute zufrieden zu stellen, denn besser und billiger als hier werden wir's weißgott nirgendwo sonst kriegen." Der Alte Geist juxte vor Freude. Als ein blondgeschopfter Kamerad aus alten Kindertagen war er heute im Haus unterwegs und lauschte, natürlich, an der Küchentüre. Friedhelm war die rechte Wahl gewesen. Auf ihn hatte er speziell gezielt, ihm hatte er besonders nachhaltig eingeflüstert in seine Träume. Und es hatte sich gelohnt. *Ordnung muß sein, da helfen keine Klagen und kein Weibsgewäsch. Jemand muß das Sagen haben, alle müssen tanzen. Zucht ist die halbe Miete, denn ohne Disziplin gehts zurück an Mamas Schürze. Mit Mannesmut und fester Kraft ist aufs redlichste der Tag geschafft. Wohlan, Kopf hoch mit frischem Mute.* Bei keinem dieser Nichtsnutze spürte der Alte Schlag solch eine Empfänglichkeit seiner Weisheiten wie bei Friedhelm, der wahrhaftig das Zeug zu einem großen Soldaten gehabt hätte. Und tatsächlich lösten die in seinen Schlaf geflüsterten Parolen des Alten Schlags etwas warmes in Friedhelm aus, als hätte er all das schon als Kind wieder und wieder gehört, als trügen ihn diese heimlichen Worte auf den Schwingen der Erinnerung in eine Geborgenheit der Kindheit zurück, als wären deren Kälte und Strenge liebevoll und zu seinem Wohl gewesen. "Als dringlichstes", fuhr er nun fort in seiner Rede, "müssen die Gänge gereinigt werden, da die darin abgestellten Sachen gegen Brandschutzbestimmungen verstoßen. Da kommen wir nicht drum herum und bevor wir jemanden engagieren, der das für teureres Geld macht, machen wir das besser selbst. Oder?" (Gezischel auf den Sofas.) "Also das ist jetzt alles kein Diskussionsvorschlag, nichts, über das wir uns groß streiten müßten, denn dies ist eine echte, amtliche Anordnung, gegen die wir nicht ohne Folgen verstoßen können. Das Haus muß gesäubert werden." (Gelächter aus dem Publikum.) Und schon kam es zu Diskussionen, teils recht lautstark geführt. Der Alte Schlag erkannte die strategische Bedeutung des Augenblicks und dreckte, in einer Blitzaktion quasi, den Gang des Hauses ganz besonders stark ein, indem er in entschlossenem Stechschritt durch ihn hindurchparadierte mit furchterregender Marschmusik in seinem Herzen. "So schlimm ist das alles doch gar nicht", hörte er noch einen Streithahn in der Küche lamentieren. Dann war er schon verschwunden in der Nacht. "So schlimm ist es eben doch. Schau dir doch den Müll mal an." widersprach Friedhelm zornig. Die Tür ging auf und die Streithansel traten auf den Gang und was sie dort sahen, brachte alle zum Schweigen. So verwüstet hatten sie ihren Hausgang noch nie gesehen. Abgestelltes Mobiliar und Müll wuchsen wie Krebsgeschwüre aus den Wänden, unkenntlich gemacht durch dicke Fladen aus Staub und Filz, einem dunklen Labyrinthe gleich. Friedhelm selbst war verblüfft über das Ausmaß der Verschmutzung, dessen sie nunmehr ansichtig wurden, denn sooo grob und derb eingesaut wie jetzt hatte er den Gang wahrhaft selbst noch nie gesehen und er war voll des heimlichen Stolzes über die suggestive Kraft seiner Worte. "Also. Wer stimmt mir da jetzt nicht zu?" fragte er in die Runde. Die Zeugen blickten betreten zu Boden und keiner widersprach ihm mehr. In ihre staunende Wortlosigkeit drangen den Betrachtern mahnende Worte aus traumverschleierten Kindertagen wie Heimweh in's Gedächtnis: *Wassollausdirwerden, Reißdichamriemen, Denkauchmalandeinealteneltern*

Es wurden zwei nahe Termine vereinbart, Wochenenden, an denen das Haus gereinigt und der Müll entsorgt werden sollte. Allen ward dringlichst anempfohlen, mitzutun. Und jenen, die sich, warumauchimmer, weigerten, wurde gekündigt und sie wurden hinausgeworfen aus der Hausgemeinschaft und ihre Nachmieter eingehend instruiert über die geltenden Gepflogenheiten des Hauses. Und es war nicht damit getan, einmalig das Haus gereinigt zu haben. Leer die Gänge und die Toiletten geputzt. Nein. Man mußte es auch weiterhin sauberhalten, es warten und pflegen. Arbeitsteams wurden eingerichtet, die in regelmäßigem Turnus Dienst taten rund um das Haus. Badreinigen, Gänge wischen, Müll verklappen. Nicht ohne Stolz empfing man nun beim darauffolgenden Mal die Damen und Herren Inspekteure aus dem Amt. Diese nahmen die Veränderungen im Haus lächelnd zur Kenntnis und blieben doch sachlich und distanziert, wie es ihrem Dienststande angemessen war. Allerdings, die neuen Regeln des Hauses blieben für die Bewohner nicht folgenlos; denn, angeregt von nützlichem Gemeinschaftsdienst, hatte so manch einer bemerkt, wie wohlig aufgeweckt es sich selbst hier in diesen alten Mauern leben ließe und mit welch besänftigtem Gewissen obendrein. Es galt ja nur gleich morgens aus den Federn zu schlüpfen und entschlossen das Haus zu verlassen. Viele suchten sich Jobs und sinnvolle Tätigkeiten in der Stadt, dies und jenes, um tagsüber jenseits des ermüdenden Geländes zu sein. Und mit der Kraft eines wachen Tages hielt man das Haus tiptop in Schuß, die Bäder blieben geputzt und der Staub gefangen. Allein, die Produktion von Kunst, vorher schon von dünnem Umfang, ließ dadurch noch stärker nach und kam im Grunde genommen ganz zum Erliegen. Diese extatischen Inseln der Wachheit in einem Meer immerwährenden Schlafes, aus denen sich die Magie hinaufschwingen konnte in grenzenlose Höhen, waren bald vollends verschwunden. Man war wach und munter geworden den ganzen Tag und doch war man nie da. Keine Zeit. Zu beschäftigt mit der Flucht vor dem sündigen Schlaf und den Träumen und angetrieben von den mahnenden Worten aus alter Zeit.

Inzwischen war es Herbst geworden und in der Kaserne schütteten die Bäume entlang der Auffahrten und Straßen ihr trockenes Laub zu Boden. Es war in letzter Zeit wieder häufiger zu Begehungen durch das Amt gekommen, denn die beantragte Verlängerung des Mietvertrages über das Jahresende hinaus stand zur Disposition. Man scheute keine Mühen, um wohlwollende Argumente für die Kunst zu sammeln. Aber man wurde seitens des Amtes beim besten Willen nicht fündig, zumal die Entwicklung des Hauses in gewisser Weise eine bedenkliche war. Wann immer man das Haus beging, fand man es leergefegt und sauber und ohne einen Menschen. Kein Hämmern irgendwo, kein Schnarchen, keine Maler, die vor einer Leinwand mit gestrecktem Pinsel Maß nahmen, keine Sonnenhüte, keine Staffeleien mit halbfertigen Gemälden, keine extatischen Zeichner auf der Wiese, keine Nackedeis, die sich den schönen Künsten offenbarten, keine Musikanten, die flott dem wilden Leben ihre muntren Ständchen spielten. Kein bißchen Paris. Nichts. Stattdessen blickte das Amt durch eine zierliche Gardine, denn es gab nichts zu verbergen, in eine aufgeräumte Wohnstube, mit einer feinen Decke auf dem Tisch, mit einem ordentlich gemachten Bett in der Ecke, über das sich noch die strengste Mama gefreut hätte, und mit einer wohlig schnurrenden Katze auf dem Fensterbrett. Weit und breit nicht eine Spur von schöpferischem Gewerbe wie es vorgesehen war in den Verträgen. Keine Skulpturen, keine Monstrositäten, kein Weltschmerz. Noch nicht einmal ein kleiner, verschlafener Literat, gedankenverloren sinnierend, begegnete ihnen mehr in den Gängen dieses Hauses. Was, indreigottesnamen, ging hier vor? Nein, nein. So war das nicht gedacht und in anbetracht der Eindrücke und Fakten, die das Amt gesammelt hatte, konnte an eine Vertragsverlängerung für das Haus nicht mehr gedacht werden. So geschah es, daß die Mieter und Untermieter des Hauses Punkt 24 Uhr des 3l.l2.20l2 das Haus unter amtlichem Druck geräumt hatten und in alle vier Winde verstreut waren. Zutiefst enttäuscht.

Nicht so der Gute Geist Vom Alten Schlag. Dieser feixte vor Vergnügen, als der letzte Künstler aus dem Hause war. Sie hatten seine feste Burg lange genug geschändet mit ihrer bloßen Anwesenheit. Dieses fürchterliche Dreckspack. Stolz und Freude füllten seine Brust und aufrecht stand er in der Sonne seines Sieges. Er war nicht tot, weißgott. Er hatte noch so viel zu richten. Soviel gab's noch für ihn zu tun, wohin sein Blick auch schweifte. Und so ging er's an und brach entschlossen auf zu neuen Taten.

© G.Lassen 2001

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